Geteilte Wirklichkeit
Für eine Geschichte der künstlerischen Beziehungen zwischen Ost und West in Europa während des Kalten Krieges
- Collection : Passerelles / Série française
Die Auseinandersetzung mit den künstlerischen Beziehungen in Europa zwischen Ost und West während des Kalten Krieges ist eine Herausforderung. Die Einschränkung der Zirkulationsmöglichkeiten sowie die ideologische Durchdringung des künstlerischen Feldes scheinen dieses Unterfangen aussichtslos zu machen; diese Grenzen erneut in den Blick zu nehmen erfordert jedoch auch, sie in Frage zu stellen.
Anhand konkreter Beispiele von Begegnungen zwischen Frankreich, der BRD, der DDR und Polen, sowohl in Kunstdiskursen als auch in der Kunst der 1960er- bis 1980er-Jahre, untersucht Mathilde Arnoux die jeweils unterschiedlichen Auslegungen der Konzepte der Wirklichkeit und des Wirklichen und beleuchtet gleichzeitig, inwiefern diese Wahrnehmungen geteilt und/oder missverstanden werden.
Zeitschriften, Kataloge, Kongresse, Museen, Galerien und andere alternative künstlerische Räume erscheinen hier als Foren, in denen die Facetten der jeweiligen Interpretationen durch die verschiedenen Autoren und Akteure der Kunstgeschichte – Künstler, Kunsthistoriker und Kunstkritiker – Gestalt annehmen. Ausgehend von den herausgearbeiteten Abweichungen wie Überschneidungen können frühere Analysen kritisch zur Diskussion gestellt werden, um eine neue Perspektive auf die künstlerischen Beziehungen in Europa während des Kalten Krieges anzubieten.
- Vorwort von Jacques Leenhardt
- Einleitung
- I – Erträge der Forschung zur Kunst der vormals östlich des Eisernen Vorhangs gelegenen Länder
- 1– Von totalitarismustheoretischen Lesarten bis zur Sozialgeschichte
- 2 – Die blinden Flecken der Kunstgeschichten des Westens
- 3 – Die Inkommensurabilität der künstlerischen Praktiken aus dem Osten des Eisernen Vorhangs mit den Normen und Kategorien der Diskurse des Westens
- II – Wie sich die künstlerischen Beziehungen zwischen den dies- und jenseits des Eisernen Vorhangs liegenden Ländern während des Kalten Krieges denken lassen
- 1 – Forschungen zu den künstlerischen Beziehungen in Europa während des Kalten Krieges
- 2 – Die Notwendigkeit eines gemeinsamen Objekts, um die Beziehung denken zu können
- 3 – Das Wirkliche und die Wirklichkeit – ein für eine Verflechtungsanalyse relevantes Begriffspaar
- 4 – Ein fließender und formbarer Begriff
- III – Interdependenz. Die Ausstellungen zur Kunst aus BRD und DDR im Musée d'Art moderne de la Ville de Paris im Jahr 1981
- 1 – Ausstellungen im diplomatischen Kontext
- 2 – Art Allemagne Aujourd'hui: Wirklichkeit umfasst Vielfalt
- 3 – Peinture et gravure en République démocratique allemande: Realismus als Organisationsprinzip von Kunst und Gesellschaft
- 4 – Der Wettbewerb um die Behauptung der »wirklichen« Wirklichkeit
- IV – Divergenz. Pierre Restany im Jahr 1960 zur polnischen abstrakten Malerei
- 1 – Der 1960 von der AICA in Warschau und Krakau veranstaltete Kongress
- 2 – Die Wirklichkeit der Abstraktion
- 3 – Pierre Restanys Sicht der Dinge
- V – Subtile Zusammenhänge. Anka Ptaszkowskas Begegnung mit Daniel Buren
- 1 – Anka Ptaszkowska
- 2 – Die Entdeckung von Daniel Burens Schriften
- 3 – Die Begegnung
- 4 – Die politische Frage und die Wirklichkeit der Kunst
- Schluss
- Nachwort
- Danksagung
- Index
- Abbildungsnachweise
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Die Auseinandersetzung mit den künstlerischen Beziehungen in Europa zwischen Ost und West während des Kalten Krieges ist eine Herausforderung. Die Einschränkung der Zirkulationsmöglichkeiten sowie die ideologische Durchdringung des künstlerischen Feldes scheinen dieses Unterfangen aussichtslos zu machen.
Die Konferenz von Jalta im Februar 1945 besiegelte die Spaltung Europas in einen kapitalistischen West- und einen sozialistischen Ostblock, zwischen denen Zirkulationen nur sehr begrenzt stattfanden. Die Gegensätze zwischen den beiden konkurrierenden soziopolitischen Systemen waren so ausgeprägt und der Austausch so beschränkt, dass trotz vermehrter weltmaßstäblicher Beziehungsforschungen die künstlerischen Beziehungen zwischen damaligem Ost- und Westblock in der Zeit des Kalten Krieges ein erst noch zu erschließendes und zu erdenkendes Forschungsfeld bleiben.
Diesem Anspruch Rechnung zu tragen, erscheint im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts umso dringlicher, als innerhalb der Europäischen Union die Spaltung zwischen den früheren Ländern des Ostens und des Westens zunimmt. Angesichts dieser Entzweiung gilt es, die Spaltung zu »denken«. Sie zu denken, ohne sie noch einmal ins Spiel zu bringen – vielmehr zu analysieren, wie die Gegensätze entstanden sind, zu klären, auf welchen Grundlagen sie aufbauen, und nach der Existenz etwaiger wechselseitiger Teilhaben zwischen künstlerischen Praktiken in Ost und West zu fragen, die nicht vorstellbar waren, solange Diskurse und Forschungsarbeiten die vorgefassten Meinungen beider Seiten wiederholten. Während nun aber die meisten Forschungen zu Austauschprozessen und zu den Beziehungen aller Art in der zeitgenössischen Welt Konzepte der Zirkulation und Vernetzung zugrunde legen, stellt sich für uns die Frage, was es bedeutet, künstlerische Beziehungen zwischen Räumen zu denken, wenn die Zirkulationen Zwängen und Begrenzungen unterliegen.
Von welcher Art von künstlerischen Beziehungen kann dann die Rede sein? Können darin nur jene Konkurrenzen und Rivalitäten zutage treten, die das Spannungsverhältnis zwischen kapitalistischen und sozialistischen Regimen kennzeichnen, oder lassen sie auch Wechselwirkungen zwischen beiderseits des Eisernen Vorhangs entstandenen künstlerischen Schöpfungen ausmachen? Auf dem Weg zu einer Erkundung künstlerischer Wechselwirkungen zwischen Ost und West gilt es, sich noch einmal zu vergewissern, was unter »künstlerischen Beziehungen« zu verstehen ist respektive wie sie beschrieben werden, und zu fragen, welche Erwartungen sie erfüllen sollen.
1 – Forschungen zu den künstlerischen Beziehungen
Dieser Essay untersucht somit den Umgang mit den künstlerischen Beziehungen in Europa während des Kalten Krieges, ohne diese auf karikaturhafte Gegensätze oder Engführungen einzugrenzen. Ob in Monografien, kritischen Studien, Ausstellungen oder Artikeln – die Kunstgeschichte befragt fortwährend die Beziehungen. Anhand ihrer werden Einflüsse, Inspirationen, Entlehnungen, Relikte, Analogien, Übergänge, Wiederaneignungen analysiert. Man untersucht sie in Zeit und Raum oder aus anthropologischem Blickwinkel, im Spannungsfeld zwischen dem, was dem Menschen eigen ist, und dem, was zu seiner Repräsentation zählt. Die Beziehungen laden ein, sich für die Prozesse zu interessieren, durch die sie möglich wurden, und für die verschiedenen Auffassungen, in die die Analyse eines inmitten rhizomatischer Zusammenhänge betrachteten Objekts münden kann. Die Methoden der Betrachtung richten sich dabei nach den schrägen Bahnen, auf denen solche Beziehungen greifbar werden, abhängig davon, ob das Augenmerk auf formalen Bezugnahmen liegt oder auf Phänomenen der Rezeption, auf Vergleichen zwischen bildnerischer und schriftlicher Äußerung oder auf der Kartografie räumlicher und gedanklicher Verlaufsbahnen. Durch das Erfassen der Beziehungen, in die Werke oder Künstler eingebunden sind, lassen sich diese verorten, je nachdem ob man einen methodisch eindeutigen Blickpunkt bevorzugt oder aber verschiedene epistemologische Perspektiven zu kombinieren anstrebt, um zu einer plurifokalen Ansicht zu gelangen.
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TitreGeteilte Wirklichkeit
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Sous-titreFür eine Geschichte der künstlerischen Beziehungen zwischen Ost und West in Europa während des Kalten Krieges
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ÉditionPremière édition
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Auteur(s)Mathilde Arnoux
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CollectionPasserelles / Série française
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ISSN17757142
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ÉditeurÉditions de la Maison des sciences de l'homme, Paris
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Éditeur originalÉditions de la Maison des sciences de l'homme, Paris
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BISAC Classifications thématiquesART000000
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BIC Classifications thématiquesA, AC, ACX
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Public viséSans restriction
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Classification thématique ThemaAGA
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Date de première publication du titre06/05/2021
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SupportLivre broché
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ISBN-102-7351-2733-8
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ISBN-13978-2-7351-2733-7
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GTIN13 (EAN13)9782735127337
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Date de publication06/05/2021
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Nombre de pages de contenu principal240
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Format12.50 x 21 cm
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Prix12.00 €